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Gedanken einer Nacht



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  Türchen 11 -

Weihnachtszeit - Lichterzeit.

Lichter haben etwas Magisches. Umso mehr, wenn sie auf einmal nicht mehr da sind. Ich habe hier einige Gedanken skizziert, die ich gerne mit Euch teilen möchte:

Gedanken einer Nacht

Menschen irren verwirrt durch die dunklen Straßen.
"Hast du ...?" Sie blicken sich gegenseitig in die erschrockenen Gesichter. "Bei dir auch?"
Fremde kommen auf dich zu: "Wisst Ihr was?" und Erinnerungen werden wach. Erinnerungen an Bilder, die immer weit weg erschienen und nun doch so nah sind. Hautnah sozusagen.

In das geisterhaften Treiben der Meisten mischt sich hektische Betriebsamkeit von einigen Wenigen. "Da muss doch noch ..." "Ich hatte extra welche aufgehoben!" Ihr aufgescheuchtes Herumflattern wirkt auf die ängstlichen Gesichter in der Nacht nicht beruhigender. Eher das Gegenteil trifft ein. Man rückt zusammen wie eine Herde Schafe und versucht, in der Masse das Fremde, Unbekannte, das immer schon Befürchtete bekämpfen zu können. Mir was? Plüschpantoffeln?

"Wie lange wird es dauern?", ist die meistgestellte Frage der Nacht. Ja, wie lange ...?

Einige Tapfere versuchen sich mit Zweckoptimismus. "Ich gehe jetzt ins Bett und wenn ich wieder wach werde, ist alles vorbei." Merkwürdig, wie es an die Kindheit erinnert, als die Mutter das noch sagte. "Kind, schlaf erst einmal darüber. Morgen ist alles vorbei." Eine bessere Welt durch Ignoranz? Wird man so der Lage gerecht? Es fühlt sich falsch an. Doch was kann man machen ... kann ich machen?

Wohin ich schaue, sehe ich graue Gesichter. Einige Straßenlaternen senden noch ihr fahles Licht in die Nacht. Wie lange werden sie noch scheinen? Was, wenn sie ausgehen? Wer ist noch hier – an wen könnte man sich wenden, falls man Hilfe braucht? Wann kommt der Mob? Der muss doch kommen. Kennt man schließlich aus dem Fernsehen. Irgendwann kommt immer der Mob. Menschen rücken zusammen und nicht immer sind sie auf Hilfe aus.

Ein schnelles Drehen des Kopfes in alle Richtungen beruhigt latent. Die dort, die kenn ich, das sind meine Nachbarn. Die auf der anderen Seite kenn ich auch. Vom Sehen. Gesprochen habe ich noch nie mit ihnen. Wozu auch. Bis jetzt ... Aber wer ist das? Das Mädchen habe ich noch nie vorher hier gesehen. Wo kommt sie her? Was will sie? Und wen hat sie mitgebracht? Angst. – Angst hat sie mitgebracht. Als hätte man nicht schon ausreichend selbst hier in der Runde. Wir geben uns gelassen und sind es doch so wenig.

Unser Leben ist urplötzlich anders geworden. Wie wenn ein Schalter umgelegt wurde. Wann wird es wieder so sein, wie es zu Mutters Zeiten war? Warm, sicher, hell? Vermutlich nie. Ist man auf die Lage, sollte sie so bleiben, ausreichend vorbereitet? Ist ausreichend Wasser im Keller? Essen? Zu dumm, dass man den Gedanken an das Notstromaggregat nicht weiterverfolgt hat. Wenn alles wieder normal ist, muss man darüber unbedingt noch einmal nachdenken. Ach was! Nicht nachdenken ... handeln. Ja, handeln. Nichts ist schlimmer als zur Untätigkeit verdammt zu sein. Morgen gleich. Ach nein, da ist ja Sonntag ... aber übermorgen, wenn alles wieder normal ist.

Wird es das je wieder ...


... Bis der Strom wieder kam, waren wir uns alle etwas näher als sonst. Schon am nächsten Tag lief man wieder in den eigenen Spuren, schön neben den anderen. Selten kreuzten sich die Wege. Weihnachten kam, Weihnachten ging. Die Festbeleuchtungen in diesem Jahr unterschieden sich nicht von denen der vergangenen Jahre. Jeder blieb für sich.

Aber an Neujahr kam man wieder auf der Straße zusammen. Im Dunklen, den Blick auf die glitzernden Lichter am Himmel gerichtet, wurden Gläser gehoben, Hände geschüttelt, und es wurde angestoßen auf das neue Jahr. Die Erinnerung an die Zeit des Stromausfalls mochte nicht mehr jedem präsent sein, aber sie lebte in allen fort und verband Nachbarn, die sich sonst nie trafen.

Dies Silvester war wärmer als jedes bisher erlebte. Fast war ich dankbar für den kleinen Fehler im Umspannwerk, damals im August, als für circa eine Stunde um 23:34 Uhr in Bremen das Licht ausging.

Was ein kleines bisschen Licht in der Dunkelheit doch manchmal ausmachen kann.

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Zu diesem Text:

Inspiriert wurde ich zu dem Text in der Nacht des 03. auf den 04.08.2018,
als ein Stromausfall um 23:34 Uhr in Bremen die Lichter erlöschen ließ
für die Dauer von ca. einer Stunde.

Mit ihm möchte ich die Hoffnung in diese Welt schicken,
dass es nicht erst einen Stromausfall benötigt,
damit man seinen Nachbarn sieht.

Vielleicht trägt er ebenso zu einem Umdenken bei wie mein neuer Roman,
der voraussichtlich im Januar 2019 im JustTales Verlag erscheinen wird.
Auch dort geht es um Sehen und Gesehen werden.

Kommissar Michael Oder löst seinen zweiten Fall, nachdem er den
"Morgenmuffel" im November 2017 zur Strecke brachte.
Titel des neuen Kommissar Oder Krimis:

                                "Kein Erbe ohne Tod"

Vorankündigung und Termin zur offiziellen Buchpremiere findet sich hier.